Bundesgerichtshof bestätigt Verurteilung u.a. wegen fahrlässiger Tötung bei Verkehrsunfall zwischen Feuerwehrfahrzeug und Linienbus

Das Landgericht Hamburg hat den Fahrer eines Feuerwehreinsatzfahrzeuges wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen in Tateinheit mit zweiundzwanzigfacher fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte war am 06. Juli 2011 in Hamburg-Tonndorf bei eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn trotz Rotlicht anzeigender Lichtzeichenanlage mit unverminderter Geschwindigkeit auf einen Kreuzungsbereich zugefahren und dort mit einem Linienbus kollidiert. Bei dem Verkehrsunfall wurden zwei Fahrgäste des Linienbusses getötet und zahlreiche weitere Businsassen sowie vier Feuerwehrleute teils schwer verletzt.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen. Das Urteil des Landgerichts ist somit rechtskräftig.

Beschluss vom 16. Juli 2013 – 4 StR 66/13

LG Hamburg – Urteil vom 18. September 2012 – 628 KLs 3/12

Karlsruhe, 22. Juli 2013

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Bundesgerichtshof entscheidet über Fahruntüchtigkeit nach Drogenkonsum

Nach der am 1. August dieses Jahres in Kraft getretenen Neufassung des § 24 a Abs. 2 StVG ist das Führen eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung bestimmter Drogen (Heroin, Kokain, Haschisch, Ekstasy u.a.) generell verboten und der Verstoß dagegen als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld und Fahrverbot bedroht.

Der für das Verkehrsstrafrecht zuständige Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte nun zu entscheiden, wann die für die Annahme einer Straftat nach § 316 StGB (Strafdrohung: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, daneben regelmäßig Entzug der Fahrerlaubnis) vorausgesetzte „Fahruntüchtigkeit“ beim Fahren unter Drogeneinfluß gegeben ist.

Der drogenabhängige Angeklagte war nach Konsum von Heroin und Kokain mit seinem PKW zum Tatort gefahren, wo er einen Raubüberfall verübte. Er wurde nach der Tat von der Polizei gestellt, als er gerade dabei war, mit seinem PKW wegzufahren. Das Landgericht Hamburg hatte aufgrund des drogen-positiven Ergebnisses der Blutprobe und wegen einer Sehbehinderung als Folge der drogenbedingten Pupillenengstellung „sozusagen absolute Fahruntüchtigkeit“ angenommen; es hat den Angeklagten deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Dies hat der Bundesgerichtshof beanstandet:

Er hat hierzu ausgeführt, daß es derzeit – anders als bei Fahrten unter Alkoholeinfluß – noch keinen allgemein anerkannten „Gefahrengrenzwert“ der („absoluten“) Fahruntüchtigkeit nach Drogenkonsum gebe. Deswegen rechtfertige der Nachweis von Drogenwirkstoffen im Blut eines Fahrzeugführers für sich allein noch nicht die Annahme der Fahruntüchtigkeit. Vielmehr bedürfe es außer einem positiven Drogenbefund regelmäßig der Feststellung weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen. Dabei hat der Senat herausgestellt, daß die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Auffälligkeiten umso geringer sein können, je höher die im Blut festgestellte Wirkstoffkonzentration sei; auch sei für den Nachweis nicht unbedingt die Feststellung von Fahrfehlern erforderlich, vielmehr könnten auch Auffälligkeiten im Verhalten des Fahrers in der Anhaltesituation genügen. Doch reiche hierfür die Pupillenengstellung, wie sie bei dem Angeklagten festgestellt sei, nicht aus. Zwar könne im Einzelfall Fahruntüchtigkeit als Voraussetzung der Strafbarkeit auch aufgrund einer drogenbedingten Einschränkung der Sehfähigkeit in Betracht kommen. Dazu müsse aber festgestellt und im Urteil dargelegt werden, wie sich dieser Umstand bei dem Betreffenden konkret auf seine Fahrtüchtigkeit ausgewirkt habe; die allgemeine Feststellung dieser Folge des Drogenkonsums genüge nicht. Wollte man dies allein für die durch Annahme der Fahruntüchtigkeit bedingte Strafbarkeit genügen lassen, müßte der Gesetzgeber einen entsprechenden Straftatbestand schaffen.

Der Bundesgerichtshof hat deshalb die Verurteilung des Angeklagten aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Prüfung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Beschluß vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98

Karlsruhe, den 12. November 1998

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Verurteilung wegen tödlich verlaufenem Autorennen auf einer Bundesstraße im Schuldspruch verschärft

Am 30. März 2007 kam es auf der Bundesstraße B 33 zwischen Stuttgart und Konstanz zu einem tödlichen Verkehrsunfall. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hatten zwei der Angeklagten mit ihren Pkws, einem getunten VW Golf und einem Porsche Carrera, mehrfach abgesprochene „Beschleunigungsrennen“ durchgeführt. Als sie während eines dieser Rennen mit einem seitlichen Abstand von nur 30 cm nebeneinander auf der zweispurigen Straße mit einer Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h das Fahrzeug eines unbeteiligten Verkehrsteilnehmers überholten, gelangte einer der Pkws mit den Rädern auf den Grünstreifen neben der Mittelleitplanke. Bei dem Versuch, das Fahrzeug wieder auf die Fahrbahn zurückzusteuern, geriet der Pkw ins Schleudern und überschlug sich. Dabei wurden der Fahrer und der Beifahrer – beide waren nicht angeschnallt – aus dem Fahrzeug geschleudert. An den hierbei erlittenen Verletzungen verstarb der Beifahrer.

Das Landgericht Konstanz hat die beiden an dem Rennen beteiligten Fahrer wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs jeweils zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, den Beifahrer in dem nicht verunfallten Pkw Porsche wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten; die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Ferner wurde allen drei Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und Sperren für deren Wiedererteilung angeordnet.

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin hat der Senat das Urteil bezüglich der beiden Fahrer im Schuldspruch dahin verschärft, dass sie auch der fahrlässigen Tötung schuldig sind. Das Landgericht wird über die Rechtsfolgenaussprüche neu zu entscheiden und bezüglich der Strafaussetzung zur Bewährung auch Gesichtspunkte der Generalprävention zu berücksichtigen haben. Die Rechtsmittel der Angeklagten wurden verworfen.

Urteil vom 20. November 2008 – 4 StR 328/08

LG Konstanz – 4 KLs 50 Js 927/07 4/08 Rev.L.V. BG 71/08 – Entscheidung vom 28. Februar 2008

Karlsruhe, den 20. November 2008

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Entziehung der Fahrerlaubnis bei Straftaten der allgemeinen Kriminalität

Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hatte aufgrund einer Vorlage des 4. Strafsenats über die Frage zu entscheiden, ob nach geltender Rechtslage die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter bei Straftaten, die der Täter im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs begangen hat, auch der allgemeinen Kriminalitätsprävention oder allein Belangen der Sicherheit des Straßenverkehrs dient. Der Vorlage lagen drei Urteile zugrunde, durch die den Angeklagten jeweils die Fahrerlaubnis entzogen worden war. In dem einen Fall war der wegen Betruges verurteilte Angeklagte mehrfach mit einem Kraftfahrzeug zu Tankstellen gefahren, bei denen sein Mittäter absprachegemäß gesperrte Kreditkarten zur Bezahlung getankten Benzins und anderer gekaufter Waren vorgelegt hatte. In dem weiteren Fall hatte der wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilte Angeklagte die Tatbeute, nämlich Schmuck, Bargeld und mehrere afrikanische Skulpturen, mit seinem Pkw vom Tatort abtransportiert. In dem dritten Fall hatte der wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilte Angeklagte für die einzelnen Beschaffungsfahrten seinen Pkw benutzt. Auf die Revisionen der Angeklagten hat der Generalbundesanwalt jeweils die Aufhebung des Maßregelausspruchs beantragt, weil allein die Benutzung eines Kraftfahrzeugs zur Begehung der abgeurteilten Straftaten die für die Entziehung der Fahrerlaubnis vorausgesetzte charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht belege.

Der Große Senat für Strafsachen hat entschieden, die im Strafgesetzbuch enthaltene Vorschrift über die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) bezwecke den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs; die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Ungeeignetheit bei Taten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs setze daher voraus, daß die Anlaßtat tragfähige Rückschlüsse darauf zulasse, daß der Täter bereit sei, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen.

Der Große Senat für Strafsachen sieht sich hierin in Übereinstimmung mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und der neueren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur verwaltungsrechtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis. Maßstab für die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis ist demgemäß die in die Zukunft gerichtete Beurteilung der Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr. Dazu hat der Große Senat für Strafsachen herausgestellt, es verstehe sich nicht von selbst, daß ein Täter, der durch die Begehung schwerwiegender oder wiederholter Straftaten zweifellos charakterliche Mängel offenbart hat, zugleich eine Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellt. Soweit die mangelnde Zuverlässigkeit des Täters in Bezug auf Verkehrssicherheitsbelange in der abgeurteilten Straftat keinen hinreichenden Ausdruck gefunden hat, ist deshalb für eine strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis schon nach dem Wortlaut des § 69 Abs. 1 Satz 1 des Strafgesetzbuchs („wenn sich aus der Tat ergibt“) kein Raum.

Die Beurteilung der Eignungsfrage im Sinne der genannten Strafvorschrift liegt in erster Linie in der Verantwortung des Tatrichters, der diese Aufgabe – in der Regel aufgrund eigener Sachkunde – unter Würdigung aller dafür „aus der Tat“ erkennbar gewordenen rechtserheblichen Anknüpfungstatsachen vorzunehmen hat. Der Tatrichter muß sich die Überzeugung verschaffen, daß die von ihm festgestellten Umstände des Einzelfalls den konkreten Anhalt begründen, der Täter stelle eine Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs dar.

Beschluß vom 27. April 2005 – GSSt 2/04 –

LG Essen – 26 (22/02) 71 Js 30/01 und 25 (38/02) 71 Js 540/02 sowie LG Detmold – 4 KLs 23 Js 338/02

Karlsruhe, den 30. Mai 2005

Anlage: Text des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB

Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshof

Bundesgerichtshof schließt polygraphische Untersuchungsmethode im gerichtlichen Verfahren als Beweismittel generell aus

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat beide Revisionen nach Einholung medizinischer und psychologischer Sachverständigengutachten zur Funktionsweise von Polygraphen verworfen, weil diesen keinerlei Beweiswert i.S.d. § 244 Abs. 3 StPO zukommt.

Allerdings hält der 1. Strafsenat an der seit der Entscheidung vom 16. Februar 1954 vertretenen Auffassung, die Anwendung polygraphischer Untersuchungsmethoden verstoße gegen die Menschenwürde, nicht fest. Jedenfalls bei freiwilliger Mitwirkung des Beschuldigten kann die Durchführung einer solchen Untersuchung des seine Entlastung erstrebenden Beschuldigten eher dem Schutzgebot der Verfassung und seinem Verteidigungsinteresse gerecht werden.

Da nach den eingeholten Sachverständigengutachten in Deutschland bei Anwendung der Polygraphenuntersuchung keine gravierenden Irreführungen (gezinkte Karten) vorkommen, liegt auch eine nach § 136a Abs. 1 StPO untersagte Täuschung nicht vor.

Bei einem Polygraphen handelt es sich um ein Gerät, das körperliche Vorgänge mißt, die der willentlichen Kontrolle des Untersuchten weitgehend entzogen sind (z.B. Blutdruck, Puls- und Atemfrequenz). Dem Beschuldigten werden während der Messung Fragen gestellt, deren Inhalt vom angewendeten Testverfahren abhängt.

Das Kontrollfragenverfahren geht davon aus, daß Täter und Nichttäter auf tatbezogene Fragen einerseits und nicht die Tat betreffende Fragen (Kontrollfragen) andererseits psychisch unterschiedlich reagieren. Dies soll sich in dem mit dem Polygraphen erzielten Meßergebnis niederschlagen, so daß aus einem Vergleich der unterschiedlichen Ausschläge der Meßkurven auf die Täterschaft des Beschuldigten geschlossen werden könne.

Dieses Konzept ist jedoch falsch:

Bereits die Grundannahme trifft nicht zu. Denn nach einhelliger wissenschaftlicher Auffassung ist es nicht möglich, eindeutige Zusammenhänge zwischen emotionalen Zuständen eines Menschen und hierfür spezifischen Reaktionsmustern im vegetativen Nervensystem zu erkennen. So muß beispielsweise die Veränderung des Blutdrucks nicht auf der Entdeckungsfurcht beruhen, sondern kann völlig andere, nicht erfaßbare Ursachen haben. Insbesondere ist nicht nachweisbar und deshalb für den letzt- und eigenverantwortlich entscheidenden Richter nicht überprüfbar, daß der zu Unrecht Verdächtigte emotional gelassener reagiert als der Täter. Die verbreitete Bezeichnung des Polygraphen als „Lügendetektor“ entbehrt daher jeder Grundlage.

Anderes ergibt sich auch nicht aus den Berichten über hohe „Trefferquoten“ (bis zu 98,5 %) bei der Durchführung von Studien. In der Wissenschaft besteht weitgehend Einigkeit, daß sich die in experimentellen Untersuchungen (Labor- und Analogstudien) erzielten Ergebnisse von vornherein nicht auf die gerichtliche Praxis übertragen lassen, weil die Testbedingungen der Wirklichkeit eben nicht entsprechen. Dagegen sind in Feldstudien, d.h. bei Untersuchungen anhand „echter“ Kriminalfälle gewonnene Ergebnisse deshalb ohne jeglichen Beweiswert, weil es keinen Maßstab gibt, ihre Richtigkeit zu überprüfen. Es treten weitere Einwände hinzu: Die mitgeteilten Richtigkeitswerte sind Folgen der Verzerrung des statistischen Fallmaterials und

daher statistisch wertlos. Aus den – ohnehin falschen – „Trefferquoten“ der Untersuchungen kann kein Schluß auf die Beweislage im konkreten Einzelfall gezogen werden.

Das Tatwissenverfahren zielt dagegen auf die Feststellung ab, ob der Beschuldigte Kenntnisse über die Tat („Täterwissen“) besitzt. Sein Funktionieren setzt voraus, daß dem Beschuldigten Details über die Tat ausschließlich durch die Begehung selbst bekannt geworden sind. Daraus folgt, daß diese Untersuchungsmethode jedenfalls dann völlig ungeeignet ist, wenn Beschuldigter oder Nichttäter bereits von den Vorwürfen und Ermittlungsergebnissen in anderer Weise Kenntnis erlangt haben, beispielsweise durch den Verteidiger, die Medien oder die Anklageschrift. Eine Verwendung des Tatwissentests erst zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung scheidet deshalb in jedem Falle aus.

Urteile vom 17. Dezember 1998 – 1 StR 156/98 und 1 StR 258/98

Karlsruhe, den 17. Dezember 1998

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs